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Urteil Versicherungsgericht (SG - KV 2015/10)

Zusammenfassung des Urteils KV 2015/10: Versicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Peter Sutter, hat gegen die Sanitas Grundversicherungen AG Beschwerde eingereicht, da diese die Kosten für eine molekulare Karyotypisierung abgelehnt hatte. Es ging um die Frage, ob diese genetische Untersuchung eine Pflichtleistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung darstellt. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Therapieänderung infolge der genetischen Untersuchung nicht zu erwarten sei. Das Gericht entschied, dass die Beschwerde teilweise gutzuheissen ist und die Angelegenheit zur weiteren Abklärung an die Beschwerdegegnerin zurückverwiesen wird. Die Gerichtskosten werden nicht erhoben, und der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung in Höhe von Fr. 3'402.45.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts KV 2015/10

Kanton:SG
Fallnummer:KV 2015/10
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:KV - Krankenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid KV 2015/10 vom 03.05.2016 (SG)
Datum:03.05.2016
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 25 Abs. 1 und 32 KVG; Analysenliste zur KLV. Eine molekulare Karyotypisierung stellt eine Pflichtleistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach KVG dar, wenn diese Untersuchung, die in der Analysenliste als vergütungsfähige Leistung genannt wird, den Anforderungen an die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit entspricht und die Untersuchung der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit oder ihrer Folgen dient. Vorliegend ist der medizinische Sachverhalt nicht ausreichend abgeklärt, weshalb die Rückweisung zu weiteren Abklärungen erfolgt (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 3. Mai 2016,KV 2015/10.Entscheid vom 3. Mai 2016
Schlagwörter: Valproat; Untersuchung; Sanitas; Diagnose; Krankheit; Karyotypisierung; Leistung; Einsprache; Recht; Behandlung; Kinder; Geburt; Entwicklung; Akten; Kostenübernahme; Analyse; Therapie; Konsequenz; Syndrom; Gericht; Konsequenzen; IV-act; Sinne; Kostengutsprache; Einspracheentscheid; Erwägungen; Leistungen; Schwangerschaft
Rechtsnorm: Art. 24 KVG ;Art. 25 KVG ;Art. 26 KVG ;Art. 3 ATSG ;Art. 31 KVG ;Art. 33 KVG ;Art. 5 BV ;
Referenz BGE:132 V 215; 136 V 395; 137 V 295;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts KV 2015/10

Besetzung

Vizepräsidentin Miriam Lendfers, Versicherungsrichter Joachim Huber,

Versicherungsrichterin Lisbeth Mattle Frei; Gerichtsschreiberin Marilena Gnesa Geschäftsnr.

KV 2015/10

Parteien

  1. ,

    Beschwerdeführerin,

    vertreten durch B. und C. ,

    diese vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Peter Sutter, Haus Eden, Paradiesweg 2, Postfach, 9410 Heiden,

    gegen

    Sanitas Grundversicherungen AG, Jägergasse 3, Postfach 2010, 8021 Zürich 1,

    Beschwerdegegnerin,

    vertreten durch Sanitas, Rechtsdienst Versicherungsrecht, Postfach 2010, 8021 Zürich 1,

    Gegenstand

    Versicherungsleistungen (molekulare Karyotypisierung) Sachverhalt

    A.

    1. A. war ab Geburt bei der Sanitas Grundversicherungen AG obligatorisch krankenpflegeversichert sowie bei der Sanitas Privatversicherungen AG zusatzversichert (act. G 1.3). Dr. med. D. , Oberärztin am Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen, hielt in einem Bericht vom 27. Juli 2012 (IV-act. 9) fest, es bestehe der Verdacht auf ein Valproinsäure-Syndrom bei facialem Dysmorphiesyndrom, Hypospadia coronaria, Nierenhypoplasie beidseits, postpartaler Adaptationsstörung im Sinne eines Valproat-Entzugssyndroms, Streckhemmung der Finger der linken Hand sowie Klumpfuss rechts. Mit Schreiben vom 4. Juli 2012 ersuchte Dr. med. E. , Arzt am Zentrum für Kinderneurologie, Entwicklung und Rehabilitation des Ostschweizer Kinderspitals, St. Gallen, um Kostengutsprache für eine molekulare Karyotypisierung (act. G 3.54). Er beantwortete am 14. August 2012 eine Rückfrage der Sanitas (act. G

      3.51 f.). Mit Schreiben vom 30. August 2012 lehnte die Sanitas auf Grund einer Stellungnahme ihres Vertrauensarztes die Übernahme der Kosten für die beantragte genetische Untersuchung ab (act. G 3.50). Daran hielt sie in der Folge fest (vgl. act. G

      3.49, 3.43-3.45 und G 3.46). Sie stellte in Abrede, dass aus der vorgesehenen genetischen Untersuchung Therapiekonsequenzen zu erwarten seien. Ausserdem seien die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht erfüllt (act. G 3.44, 3.42).

    2. Am 4. Februar 2014 stellte Dr. med. F. , Oberärztin am Ostschweizer Kinderspital, der von den Eltern des Versicherten nunmehr beigezogenen Protekta Rechtsschutzversicherung eine erneute Begründung des Kostenübernahmegesuchs zu (act. G 3.39). Die Protekta bat die Sanitas am 13. Februar 2014 (act. G 3.38) um nochmalige Prüfung der Angelegenheit auf der Basis der erneuten Begründung vom 4. Februar 2014. Die Sanitas hielt an ihrer Ablehnung fest (Schreiben vom 19. Februar 2014, act. G 3.35, und 19. Mai 2014, act. G 3.31; vgl. auch act. G 3.34). Am 20. August 2014 ersuchte der neu mandatierte Rechtsvertreter des Versicherten, Rechtsanwalt Dr. iur. Peter Sutter, Heiden, um Zustellung einer anfechtbaren Verfügung samt den Akten, sollte die Sanitas nicht bereit sein, auf ihren ablehnenden Bescheid zurückzukommen (act. G 3.29). Mit Verfügung vom 14. Oktober 2014 lehnte die Sanitas eine Kostenübernahme für die molekulare Karyotypisierung ab (act. G 3.26).

B.

Der Versicherte liess am 28. Oktober 2014 durch Dr. Sutter Einsprache erheben (act. G 3.25) und die Aufhebung der Verfügung vom 14. Oktober 2014 sowie die Gewährung der Kostengutsprache für die anbegehrte genetische Untersuchung beantragen. Mit Einspracheentscheid vom 29. Mai 2015 (act. G 3.1) wies die Sanitas die Einsprache ab.

C.

    1. Gegen den Einspracheentscheid vom 29. Mai 2015 erhob der Versicherte, weiterhin vertreten durch Rechtsanwalt Sutter, am 25. Juni 2015 Beschwerde mit den Anträgen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihm sei Kostengutsprache für eine molekulare Karyotypisierung zu erteilen; eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Sanitas (in der Folge: Beschwerdegegnerin) zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin (act. G 1).

    2. Mit Beschwerdeantwort vom 31. August 2015 beantragte die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde und die Bestätigung des Einspracheentscheids vom 29. Mai 2015 (act. G 3).

    3. Mit Replik vom 1. Oktober 2015 (act. G 7) hielt der Beschwerdeführer an seinen in der Beschwerdeschrift gestellten Anträgen fest.

    4. Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf die Einreichung einer Duplik (act. G 9 und 10).

    5. Am 9. November 2015 zog das Gericht die IV-Akten und einen Bericht des Instituts G. der Universität Zürich vom 3. Juli 2012 bei (act. G 13.1; vgl. auch act. G 14 und 16).

C.f Am 16. Februar 2016 schlug das Gericht den Parteien den Abschluss eines Vergleichs vor (act. G 16). Die zunächst aufgenommenen Vergleichsverhandlungen (act. G 19) waren nicht erfolgreich. So teilte die Beschwerdegegnerin am 31. März 2016 mit, nicht vergleichsbereit zu sein (act. G 23), und reichte weitere Akten ein (NZZ-Artikel vom 18. März 2012, act. G 23.1, und Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 25. Oktober 2012, act. G 23.2). Der Beschwerdeführer ersuchte in der Folge das Gericht, die Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 31. März 2016 samt Beilagen aus dem Recht zu weisen (act. G 25), was das Gericht jedoch ablehnte (act. G 26).

C.g Auf die Vorbringen und Begründungen in den einzelnen Rechtsschriften sowie die Ausführungen in den medizinischen Akten wird, soweit entscheidrelevant, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

Erwägungen

1.

Streitig und zu prüfen ist materiell die Frage, ob die anvisierte genetische Untersuchung (molekulare Karyotypisierung) eine Pflichtleistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung darstellt.

    1. Die soziale Krankenversicherung gewährt Leistungen u. a. bei Krankheit (Art. 3 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], SR 830.1; Art. 1a Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung [KVG], SR 832.10), wobei Krankheit nach Art. 3 Abs. 1 ATSG jede Beeinträchtigung der körperlichen geistigen Gesundheit ist, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung Behandlung erfordert eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt nach Massgabe der in Art. 32-34 KVG festgelegten Voraussetzungen die Kosten für die Leistungen gemäss Art. 25-31 KVG, die der Diagnose Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen (Art. 24 KVG, Art. 25 Abs. 1 KVG). Diese Leistungen umfassen u. a. die ärztlich verordneten Analysen (Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG). Die entsprechende Liste der vergütungsfähigen Analysen (Analysenliste, AL) wird vom Eidgenössischen Departement des Innern nach Anhören der Eidgenössischen Kommission für Analyse, Mittel und Gegenstände erlassen (Art. 52 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 KVG, Art. 34 und Art. 37f der Verordnung über die Krankenversicherung [KVV], SR 832.102). Die abschliessende, in der Regel jährlich überarbeitete Liste der vergütungsfähigen Analysen ist als Anhang 3 in der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KLV; SR 832.112.31) enthalten (Art. 60 KVV und Art. 28 KLV).

    2. Die vom Beschwerdeführer beantragte genetische Untersuchung (molekulare Karyotypisierung) war im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Einspracheentscheids vom 29. Mai 2015 in der AL (in der ab 1. Januar 2015 geltenden Fassung) enthalten (vermutlich Ziff. 2.2.1.3 Molekulare Zytogenetik, Position 2018.05, wobei die medizinische Dokumentation soweit ersichtlich die genaue Position nirgends erwähnt).

    3. Voraussetzung für die Kostenübernahme einer in der AL enthaltenen genetischen Analyse im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung sind die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der beantragten Leistung. Die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein (Art. 31 Abs. 1 KVG). Eine Leistung ist wirksam, wenn sie geeignet ist, das angestrebte diagnostische therapeutische Ziel zu erreichen (BGE 137 V 295 E. 6.1). Die Zweckmässigkeit fragt nach dem diagnostischen therapeutischen Nutzen der

      Anwendung im Einzelfall unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken, gemessen am angestrebten Heilerfolg der möglichst vollständigen Beseitigung der körperlichen psychischen Beeinträchtigung (BGE 137 V 295 E. 6.2). Das Wirtschaftlichkeitserfordernis bezieht sich auf die Wahl unter mehreren zweckmässigen Diagnose- Behandlungsalternativen. Bei vergleichbarem medizinischem Nutzen ist die kostengünstigste Variante bzw. diejenige mit dem besten Kosten-/ Nutzenverhältnis zu wählen. Wo es nur eine Diagnose- Behandlungsmöglichkeit gibt, ist nach dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV) die Leistung zu verweigern, wenn zwischen Aufwand und Heilerfolg ein grobes Missverhältnis besteht (BGE 136 V 395 E. 7.4 mit Hinweisen; GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 507 ff.).

    4. In Abgrenzung zu Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten im Sinne

      von Art. 26 Abs. 1 KVG (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_22/2013 vom 25. April 2013

      E. 2) müssen diagnostische Massnahmen im Zusammenhang mit der Behandlung einer manifesten Erkrankung eines konkreten Krankheitsverdachts stehen, damit sie durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung zu vergüten sind (Urteile des Bundesgerichts 9C_1011/2012 vom 18. April 2013 E. 2.3.1 und K 55/05 vom 24. Oktober 2005 E. 1.1). Sie müssen letztlich der Krankheitsbehandlung dienen, wozu auch gehört, das Eintreten einer Krankheit zu verhindern, einschliesslich eine (Erb-) Krankheit auszuschliessen (RKUV 1995 Nr. K 957 S.12; Urteil des Bundesgerichts 9C_1011/2012 vom 18. April 2013 E. 2.3.1). Das bedeutet, dass sie – bei prognostischer Beurteilung (SVR 2008 KV Nr. 1 S. 1) – therapeutische Konsequenzen haben können. Trifft dies nicht zu, d.h. ist in dem Sinne der diagnostische Endpunkt erreicht, dass die Therapie feststeht keine (andere) mehr möglich ist, besteht keine Kostenübernahmepflicht (Urteil des Bundesgerichts 9C_1011/2012 vom 18. April 2013 E. 2.3.1 mit Hinweisen).

    5. In den einleitenden Bemerkungen zu Anhang 3 KLV (vgl. S. 5 f. der AL) wird unter Hinweis auf Art. 25 Abs. 1 KVG festgehalten, dass die Diagnostik mit einer akzeptablen Wahrscheinlichkeit die Konsequenz haben muss, dass sie

  • einen Entscheid über Notwendigkeit und Art einer medizinischen Behandlung oder

  • eine richtungsgebende Änderung der bisher angewendeten medizinischen

    Behandlung oder

  • eine richtungsgebende Änderung der notwendigen Untersuchungen (z.B. zur rechtzeitigen Verhütung, Erkennung Behandlung von typischerweise zu erwartenden Komplikationen) oder

  • einen Verzicht auf weitere Untersuchungen von typischerweise zu erwartenden

Krankheitssymptomen, Folgeerkrankungen Beschwerden

zur Folge haben. Analysen, bei denen schon zum Zeitpunkt der Anordnung feststeht, dass das Resultat keine der oben erwähnten Konsequenzen hat, sind von der Kostenübernahme ausgeschlossen.

2.

Zu prüfen ist im Folgenden, ob die beantragte Analyse eine der alternativen Voraussetzungen für eine Kostenübernahme gemäss Anhang 3 der AL erfüllt.

    1. Der Beschwerdeführer macht geltend, bei Kindern mit Entwicklungsrückstand und zusätzlichen Problemen sei eine Chromosomenuntersuchung gemäss nationalen und internationalen Richtlinien indiziert. In über 30 % der Fälle lasse sich dadurch eine Diagnose stellen. Je nach Befund liessen sich aus der Diagnose medizinisch- therapeutische Konsequenzen ableiten. Die Untersuchung sei durchaus wirtschaftlich, indem sie kostenintensivere Untersuchungen nach einer Ätiologie der Symptomatik überflüssig mache, und entspreche demnach internationalen Standards (act. G 1, S. 5 f.; act. G 3.39). Der Beschwerdeführer wies bei der Geburt folgende Pathologien unklarer Ätiologie auf: kleiner Kopf, trigonocephale Kopfform, schmale Lippen, kleine Ohren, Entwicklungsverzögerung, Herzfehler, Hypospadie und Klumpfuss. Ausserdem litt er an einer postpartalen Adaptationsstörung im Sinne eines Valproat- Entzugssyndroms (IV-act. 29, 24).

    2. Die medizinische Aktenlage präsentiert sich folgendermassen:

      1. Im Kostengutsprachegesuch vom 4. Juli 2012 wies Dr. E. auf den Verdacht auf ein Dysmorphiesyndrom hin, der sich daraus ergebe, dass der Beschwerdeführer einen kleinen Kopf, eine trigonocephale Kopfform, schmale Lippen, kleine Ohren sowie eine Entwicklungsverzögerung aufweise. Zur genauen Diagnostik und Anpassung der Therapie sei deshalb eine molekulare Karyotypisierung indiziert. Daraus würden sich bei klarer Diagnosestellung therapeutische Konsequenzen ergeben (act. G 3.54). Dr.

        E. ergänzte seine Stellungnahme auf Anfrage am 14. August 2012 dahingehend, dass einige Befunde vereinbar seien mit einer fetalen Valproat-Embryopathie, wie Herzfehler, Hypospadie und Klumpfuss. Die ausgeprägte Trigonocephalie sei in dieser Form nicht beschrieben. Deshalb sei von genetischer Seite empfohlen worden, monogene (etwa Opitz-Syndrom) chromosomale Ursachen (3p-, 11q-, +3q und

        +13q) auszuschliessen. Bei klarem Nachweis eines genetischen Syndroms müssten die genetische Beratung und gegebenenfalls auch die Therapie modifiziert werden. Beispielsweise seien bei den genannten Syndromen renale, kardiale knöcherne Fehlbildungen beschrieben, die bei klarer Diagnosestellung rechtzeitig erkannt und therapiert würden (act. G 3.51). Am 4. September 2012 wies Dr. E. auf eine genetische Beurteilung hin (diese Aussage bezieht sich auf den Bericht von Prof. em. Dr. med. H. , Institut G. der Universität Zürich, vom 3. Juli 2012, act. G 13.1) und hielt fest, aufgrund der Klinik sei beim Beschwerdeführer nicht völlig zu klären, ob das Valproat alleine für das Dysmorphiesyndrom verantwortlich sei (act. G 3.49). Am 20. November 2012 nannte Dr. E. die im Rahmen des Array-CGH zu untersuchenden Gene (act. G 3.46). Am 25. April 2013 zitierte Dr. E. die Kostenübernahme-Kriterien der einleitenden Bemerkungen zum Anhang 3 KLV und wiederholte seine Ansicht, dass eine Array-CGH-Untersuchung klar von der Krankenkasse übernommen werden müsse (act. G 3.43).

      2. Die Beschwerdegegnerin lehnte eine Kostengutsprache mit Schreiben vom 30.

        August 2012 ab (act. G 3.50; vgl. auch Schreiben vom 25. März 2013, act. G 3.44, vom

        3. Juni 2013, act. G 3.42, und vom 19. Februar 2014, act. G 3.25; vgl. ausserdem die Beurteilung von Dr. I. , Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin und Medizinische Onkologie FMH, Vertrauensärztin der Sanitas, vom 11. Mai 2015, act. G 3.3). Zur Begründung führte sie aus, die Mutter des Beschwerdeführers habe während der Schwangerschaft das antiepileptische Medikament Valproat eingenommen, von dem bekannt sei, dass es im Tierversuch eine teratogene Wirkung entfalte; beim Menschen

        sei bei Einnahme von Valproat während der Schwangerschaft im Vergleich zu anderen Antiepileptika eine erhöhte Inzidenz von geringfügigen bis schwerwiegenden Missbildungen bekannt. Einige Daten würden für einen Zusammenhang zwischen der intrauterinen Exposition mit Valproinsäure und dem Risiko einer Entwicklungsverzögerung sprechen, die häufig mit Fehlbildungen und/oder dysmorphen Gesichtszügen verbunden sei (act. G 3.26, G 3.42, G 3.44 und G 3.50).

      3. Dr. F. wies am 4. Februar 2014 darauf hin, dass sich Konsequenzen aus dem Nachweis einer Chromosomenstörung sehr individuell nach den involvierten Regionen bzw. Genen ergeben und zu gezielten Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen führen würden, eine bessere Abschätzung der Prognose erlauben sowie eventuell noch nicht identifizierte Geburtsgebrechen offenbaren könnten. Je nach Befund liessen sich aus der Diagnose daher durchaus medizinisch-therapeutische Konsequenzen ableiten, die in Einzelfällen sogar gravierend sein könnten (act. G 3.39).

    1. Es ist nach Lage der Akten unbestritten, dass die Mutter des Beschwerdeführers während der Schwangerschaft hochdosiert mit Valproat behandelt wurde. Laut Arznei- mittelkompendium der Schweiz (vgl. <https://www.compendium.ch/home/de>, abgerufen am 9. Mai 2016) ist Valproat Sandoz 300/500 vorzugsweise zur Monotherapie bei den generalisierten Formen der primären Epilepsie indiziert, kommt allein in Kombination mit anderen Präparaten aber auch bei anderen Epilepsie- Formen zur Anwendung. Zur Verwendung bzw. zu den Nebenwirkungen und Kontraindikationen wird folgendes ausgeführt: Bei Frauen in gebärfähigem Alter ist Valproat nicht anzuwenden, es sei denn, dies ist unumgänglich. Die Entscheidung ist nach Rücksprache mit einem Spezialisten und nach sorgfältiger Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses vor der ersten Verschreibung zu treffen; gleiches gilt, wenn eine Frau im gebärfähigen Alter, die bereits mit Valproat behandelt wird, eine Schwangerschaft plant. Klinischen Daten zufolge unterliegen Kinder, die in utero Valproat ausgesetzt waren, einem erhöhten Risiko für kognitive Entwicklungsstörungen. Im Tierversuch zeigt sich eine teratogene Wirkung bei der Maus, der Ratte und dem Kaninchen. Beim Menschen weisen verfügbare Daten bei Neugeborenen auf eine erhöhte Inzidenz von geringfügigen schwerwiegenden Missbildungen hin. Diese schliessen Anomalien des Neuralrohrschlusses, kraniofaziale Anomalien, Lippenfehlbildungen, kardiovaskuläre Fehlbildungen und multiple

      Anomalien, die verschiedene Systeme des Organismus betreffen, ein. Valproat ist sowohl in Monotherapie als auch in Kombinationstherapie mit Anomalien in der Schwangerschaft assoziiert. Es liegen klinische Daten vor, die auf einen Zusammenhang zwischen intrauteriner Exposition gegenüber Valproinsäure und dem Risiko von Entwicklungsverzögerungen und schlechteren Ergebnissen der betroffenen Kinder und Jugendlichen in kognitiven Tests hindeuten. Eine Entwicklungsverzögerung ist häufig mit Fehlbildungen und/oder dysmorphen Gesichtszügen verbunden. Ebenfalls wurden bei Kindern, die in utero Valproat ausgesetzt waren, Störungen des autistischen Spektrums beobachtet. Ebenfalls bekannt sind Fälle von Hypoglykämie. Selten wurde über reversible nicht reversible Taubheit berichtet.

    2. Den medizinischen Akten lässt sich entnehmen, dass einige der vorhandenen Pathologien mit Kostenübernahme durch die IV behandelt wurden, so etwa eine Sehschwäche, Hörstörungen, Versorgung der oberen und unteren Extremitäten sowie physio- und ergotherapeutische Massnahmen (IV-act. 9, 13, 17, 22, 25, 29, 35 36, 42,

      43, 44, 47, 55, 57, 60, 69, 76, und 82). Die von der IV anerkannten Geburtsgebrechen

      Ziff. 177, 182, 342, 352 und 311 wurden bis auf letzteres (IV-act. 25) dem Geburtsgebrechen Ziff. 493 (Folgen von Embryo- und Fötopathien sowie angeborene Infektionskrankheiten) zugeordnet (IV-act. 17). Eine Kostengutsprache für die hier in Frage stehende genetische Untersuchung hat die IV-Stelle am 14. Januar 2015 abgelehnt und dies damit begründet, von einer molekularen Karyotypisierung seien keine zusätzlichen therapierelevanten Informationen im Zusammenhang mit der Valproat-Embryopathie zu erwarten (IV-act. 62 und 63). Die IV-Stelle verwies dabei auf Art. 78 Abs. 3 IVV, wonach die Kosten von Abklärungsmassnahmen von der Versicherung getragen werden, wenn die Massnahmen durch die IV-Stelle angeordnet wurden oder, falls es an einer solchen Anordnung fehlt, soweit sie für die Zusprechung von Leistungen unerlässlich waren Bestandteil nachträglich zugesprochener Eingliederungsmassnahmen bilden. Vorliegend habe die IV-Stelle keine Untersuchung für eine molekulare Karyotypisierung veranlasst, und zudem seien betreffend Valproat- Embryopathie bereits Leistungen zugesprochen worden. Genetische und mitochondrische Abklärungen werden gemäss dem Kreisschreiben über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (KSME, in der Version gültig ab 1. Januar 2015), Rz 1020, von der IV nur übernommen, wenn Beschwerden des Kindes sowie klinische und laborchemische Untersuchungen auf ein

      Geburtsgebrechen hinweisen, eine eindeutige Diagnose jedoch nur mit genetischen Testverfahren gesichert werden kann und eine fachärztliche Indikation vorliegt. Die Beschwerdegegnerin weist darauf hin, dass sich die Therapie aus der Klinik dieser Geburtsgebrechen ergebe. Eine Therapieänderung infolge der anvisierten genetischen Untersuchung sei nicht zu erwarten. Wäre die definitive Diagnose unklar gewesen, hätte die Invalidenversicherung keine Geburtsgebrechen anerkennen können und allenfalls eine genetische Untersuchung in Auftrag gegeben (act. G 3.44). Die diagnostische Sensitivität der Array-Untersuchung sei zu gering. Das Opitz- Trigonozephalie-Syndrom sei mit weniger als 50 dokumentierten Fallbeispielen ein sehr selten auftretender Symptomenkomplex (act. G 3.26, Ziff. 2.3).

    3. Dr. I. wies am 11. Mai 2015 darauf hin, dem medizinischen Dossier lasse sich nicht entnehmen, welche medizinischen Massnahmen bisher durchgeführt worden seien, ebenso wenig, welche therapeutischen Konsequenzen beim Nachweis einer genetisch bedingten Störung erfolgen würden. Die Berichte seien bezüglich möglicher Symptome und deren gezielter Therapie bzw. Therapieänderung ungenau. Eine konkrete Angabe der Wahrscheinlichkeit einer Valproat-Embryopathie im Vergleich zu weiteren möglichen Ursachen erfolge nicht. Im Weiteren fehlten konkrete Angaben zu den gezielten Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen, zu den konkreten prognostischen Aussagen, die von einer genetischen Untersuchung abhängig sein sollten. Dr. I. verwies auf die Beurteilung des Genetikers Dr. J. anlässlich einer persönlichen Besprechung vom 12. Mai 2015 (die aber nicht in schriftlicher Form vorliegt, vgl. act. G 3.3, ad 1 und ad 4). Dr. J. halte eine genetische Untersuchung für nicht indiziert, da mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine teratogene Ätiologie vorliege. Sollte eine genetische Störung vorliegen, könnte diese als primäre Ätiologie des Valproat-Syndroms interpretiert werden. Die Frage, welcher Schaden durch die Valproat-Einnahme entstanden sei, könne mit einer genetischen Untersuchung nicht abschliessend geklärt werden (act. G 3.3, ad 5).

    4. Dr. F. und Dr. E. haben in ihren Schreiben nicht differenziert dargelegt, welche Diagnosen sie mit der molekularen Karyotypisierung bestätigen ausschliessen könnten und welches Spektrum konkreter Krankheiten für sie in Frage kommt. Der Hinweis auf eine mögliche chromosomale Aberration ist zu unspezifisch. Sie haben im Weiteren nicht aufgezeigt, in welcher Weise die beantragte Untersuchung

      die bereits stattfindende Behandlung des Leidens des Beschwerdeführers beeinflussen bzw. modifizieren könnte. Allerdings handelt es sich bei diesen Ärzten des Kinderspitals nicht um Genetiker, die primär die zur Beantwortung dieser Fragen nötige Fachkompetenz haben dürften. Erkennbar ist, dass der Beschwerdeführer einige der erwähnten, auf die Einnahme von Valproat durch die Mutter während der Schwangerschaft mit erhöhter Inzidenz anzutreffenden Pathologien aufweist (vgl. IV- act. 29, S. 3), wobei der Zusammenhang mit einem genetischen Defekt bzw. das Zusammenspiel zwischen letzterem und der Valproat-Einnahme bisher nicht geklärt wurde. Prof. em. Dr. H. weist zwar auf mit einer Valproat-Embryopathie vereinbare Befunde hin, aber auch darauf, dass der „Kardinalbefund der ausgeprägten Trigonocephalie“ bei diesem Syndrom (gemeint ist wohl das Valproat-Syndrom) nicht bekannt sei (act. G 13.1). Folglich kann beim aktuellen Stand der Akten nicht ausgeschlossen werden, dass nicht die Valproat-Einnahme der Mutter, sondern genetische Ursachen für zumindest einen Teil des Krankheitsbilds des Beschwerdeführers verantwortlich ist.

    5. Angesichts der vorangegangenen Erwägungen erscheint der medizinische Sachverhalt nicht spruchreif erstellt. Es ist insbesondere keine nachvollziehbare genetische Beurteilung erfolgt, die es erlauben würde, die Bedeutung der Valproat- Einnahme einzuordnen bzw. die konkrete Aussagen darüber zulassen würde, welche genetischen Diagnosen in Frage kommen bzw. welche therapeutischen Folgen bei deren Bestätigung zu erwarten wären. Die Stellungnahme von Prof. em. Dr. H. ist hierzu zu knapp und unspezifisch. Im Weiteren ist eine schriftliche Stellungnahme von Dr. J. nicht aktenkundig, sondern seine Überlegungen sind nur durch Dr. I. wiedergegeben. Da in dieser Situation nicht bereits von Beweislosigkeit ausgegangen werden kann, deren Folgen der Beschwerdeführer zu tragen hätte, ist die Streitsache an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit diese geeignete fachmedizinische/ genetische Abklärungen tätige und anschliessend über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers neu entscheide.

    6. Bei diesem Verfahrensausgang kann die Frage offen gelassen werden, ob im Verhalten der Beschwerdegegnerin im Einspracheverfahren - wie vom Beschwerdeführer gerügt - eine Gehörsverletzung zu sehen ist.

3.

    1. Nach den vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde unter Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheids vom 29. Mai 2015 teilweise gutzuheissen und die Streitsache zur Vornahme der erforderlichen Abklärungen und zu neuer Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

    2. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).

    3. Gemäss Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende beschwerdeführende Partei Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Die Rückweisung der Sache zwecks ergänzender Abklärungen gilt praxisgemäss als volles Obsiegen (BGE 132 V 215 E. 6.2). Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer demnach Anspruch auf eine Parteientschädigung. Rechtsanwalt Dr. Sutter hat am 11. April 2016 eine Honorarnote im Betrag von Fr. 3‘402.45 (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) eingereicht. Dieser Betrag erscheint unter Berücksichtigung der Bedeutung der Streitsache sowie der Schwierigkeit des Prozesses angemessen.

Entscheid

1.

Die Beschwerde wird dahingehend gutgeheissen, dass der angefochtene Einspracheentscheid vom 29. Mai 2015 aufgehoben und die Sache zu weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen und anschliessender neuer Verfügung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen wird.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer mit Fr. 3‘402.45 (inkl. Barauslagen

und Mehrwertsteuer) zu entschädigen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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